Sofagespräch mit Sigmar Fischer

Als Kind bemerkte er, dass Erwachsene nur flüsternd über „175er“ sprachen, in der Pubertät stellte er fest, dass ihm Jungen besser gefallen als Mädchen, mit Anfang 20 hatte er sein Coming-Out und führte dennoch lange Zeit ein Doppelleben. Seit mehr als fünf Jahrzehnten engagiert sich Sigmar Fischer für die Gleichbehandlung von Homosexuellen. So war er 2015 Gründungsmitglied der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS), der er bis vor kurzem als Vorstand angehörte. Beim „Sofagespräch im Quartier“ im Wohncafé des Bielefelder Modells Am Pfarracker gewährte der 74-jährige Bielefelder Einblicke in sein Leben, das unter dem Credo „Identitäten soll man nicht an der Garderobe ablegen müssen“ steht.

Als Sohn eines überzeugten Gewerkschafters und Sozialdemokraten in Bielefeld aufgewachsen, studierte Sigmar Fischer in Münster Politikwissenschaft, Geschichte und Romanistik. In der katholisch-konservativen Domstadt schloss er sich einer homophilen Studentengruppe an, die am 29. April 1972 die erste (!) Schwulen-Demonstration Deutschlands organisierte. An der Sigmar Fischer allerdings nicht teilnahm, denn: „Bei einem Besuch meiner Eltern hatte ich kurz zuvor aus Versehen die Weihnachtskarte eines Freundes liegen gelassen. Als mein Vater sie fand und las, rief er mich an und bat mich, am Wochenende nach Hause zu kommen“, erinnerte er sich. Statt die Demo zu besuchen, outete sich der damals 23-Jährige bei seinen Eltern: „Meine Mutter reagierte enttäuscht, weil ich ihr keine Enkel schenken würde. Mein Vater war eher besorgt – um mich, aber auch um seinen Ruf als Betriebsratsvorsitzender, dem ein schwuler Sohn als Schwachstelle angekreidet werden könnte.“

Auch am Eingang eines Pflegeheimes will ich meine Identität nicht ablegen müssen. Mein Wunsch ist, dass es in jeder Stadt mindestens eine Einrichtung der Altenhilfe gibt, die schwulenfreundlich ist.

Sigmar Fischer

Ursprünglich hatte Sigmar Fischer von einer Karriere in der politischen Administration geträumt. „Ich wäre gern nach Brüssel oder Paris gegangen. Gelandet bin ich in Sennestadt“, berichtete er. Während seines Zivildienstes in der dortigen Bildungsstätte Haus Neuland bot man ihm 1977 die pädagogische Leitung der Einrichtung an. „Meine Aufgabe war es, den Bereich der politischen Bildung aufzubauen. Ich sah das damals lediglich als Sprungbrett an und bin schließlich mehr als 30 Jahre lang im Haus Neuland geblieben, in denen ich das Zielgruppenspektrum deutlich erweitern konnte“, sagte er. Noch im Ruhestand ist er beruflich aktiv, arbeitet als Qualitätsgutachter in der Weiterbildung und als Projektentwickler. Mit zunehmendem Alter und einigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen beschäftigt ihn inzwischen jedoch die Frage, wie er leben möchte, wenn er seinen Alltag nicht mehr allein meistern kann: „Auch am Eingang eines Pflegeheimes will ich meine Identität nicht ablegen müssen. Mein Wunsch ist, dass es in jeder Stadt mindestens eine Einrichtung der Altenhilfe gibt, die schwulenfreundlich ist.“

Wir haben diesen herzlichen Austausch sehr genossen.